9. November

Moderator: Heidrun Eichler

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Heidrun Eichler
Museumsmitarbeiter
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Registriert: Do 22. Dez 2005, 13:58
Wohnort: Markneukirchen

9. November

Beitrag von Heidrun Eichler »

Hallo, Ihr lieben Mitbürger,

weil heute der 18. Jahrestag ist, der uns (Ost und West) zusammengebracht hat, schreib ich halt mal wieder etwas zu diesem Thema.

Ich hatte gestern wieder einen (zugegeben sehr netten) Mann aus der Nähe von Bremen am Telefon, der wegen einer Geige angerufen hat, aber noch nie in den neuen Bundesländern war. Solche Menschen sind dann ja meine Opfer, die lasse ich nicht sogleich wieder los und sie müssen mir dann auch mindestens einen Grund nennen, warum sie noch nie im Osten waren. Er hat seine Kinder vorgeschoben! Warum kann man mit Kindern nicht in den Osten fahren? Wenn die Eltern es nicht tun, werden es die Kinder später auch nicht machen. Die Entfernung ist für mich kein Argument. Nach Mallorca ist es viel weiter. Außerdem war ich schon an der Nordsee, auf Helgoland, in den Alpen, in Luxemburg usw. als unsere Kinder klein waren und das Geld auch damals schon knapp war. Woran liegt es, dass eine Reise in die ehemalige DDR so unattraktiv ist?
Wer kann mir das sagen?

Heidrun

Gabi
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Registriert: Mi 04. Apr 2007, 16:17
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Re: 9. November

Beitrag von Gabi »

Hallo Heidrun

Ich war schon gaaaaaaaaaaaanz oft in MeckPom!
Und mein Mann war vor einigen Jahren in Thüringen...

Und ich kann es nicht verstehen, daß man nicht in den Osten will!
Sind wir nu "Ein Volk" oder nicht?
Gibts da tatsächlich immer noch Vorurteile?

Gerade bei den ersten Reisen war ich doch sehr neugierig, wie es da so aussieht.... :wink2:
Von Verwandschaft, die zur DDR-Zeit schon mal einreisen durften, hatte man ja so einiges gehört....
Na ja....in den Gebieten, die nicht von den Touristen bevölkert wurden, sah es dann auch tatsächlich noch so aus.
Und sonst...es war z.T. sehr anstrengend, sich in einer Gesamt-GroßBaustellen-Gegend zu befinden! :pardon: Aber ich denke mal, das hat sich inzwischen auch ein bisschen beruhigt.

In den 1990er Jahren gabs ja auch diese manchmal aggressive Stimmung zwischen den Ossis und Wessis. Wessis = arrogant. Ossis = fordernd, weil sie doch sooooo lange benachteiligt waren.
na ja...vielleicht gibts ja heute so Blödmänner (sorry für das Wort. Mit fiel nix anderes dazu ein! :blush: ) auch noch.
Wir haben dort nur nette Menschen getroffen.

:-) Gabi
Manchmal, wenn ich Ruhe brauche, setze ich mich in meine Bonboniere und ein Gummibärchen hält mir die Hand.

http://www.blockfloeten-museum.de

NorbertE
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Registriert: Fr 01. Jun 2007, 9:15

Re: 9. November

Beitrag von NorbertE »

Liebe Heidrun,

ich hatte Dir, glaube ich, mal geschrieben, dass meine Herzallerliebste im öffentlichen Dienst SG-Leiterin u.A. Tourismus ist. Die hab ich dazu nun hochnotpeinlich befragt. :dirol:

Es gibt statistische Ergebungen, nach denen zwischen 50 und 70 % unserer Altbundeslandsleute noch nie im Osten waren!! Da war auch ich baff, denn ich hätte 20 geschätzt.

Es kamen auch einige Annekdoten: Ein Anruf eines Kurzurlaubswilligen aus den Altbundesländern in der Touristinfo mit der Bitte, ihm doch eine Übernachtung mit richtigem Bett und auch richtiger Toilette mit Wasserspülung zu vermitteln. Kein Scherz!

2002 (also 12 Jahre nach der "Wende") besuchten mich die bayrischen Schwiegereltern meiner Tochter (zum ersten mal im Osten). Der erste Spruch war: "Ihr hoabts joa richtig Stroassn hier" bevor man aus dem 30 Jahre alten BMW die Notfallüberlebensausrüstung in Form des in den Kofferraum gekippten heimischen Kühlschrankinhalts auspackte. :lol:

Ich denke, die Unwissenheit ist noch groß...

Als z.B. die Jahrhundertflut das Osterzgebirge und Dresden erwischt hat, gab es bis in die Lausitz massenhaft Stornierungen von Übernachtungen. Man dachte wohl, es ist bis weit nach Polen rein komplett Land unter...

Bautzen ist die "Hauptstadt" der Sorben, einer slawischen Minderheit. Fast alle amtlichen Schilder sind zweisprachig beschriftet. Ein Touristenbus aus dem Emsland ist in Bautzen umgedreht und zurück nach Dresden gefahren, weil man dachte, man ist schon in Polen....

Alles keine Scherze, belegbar und doch etwas traurig.

Dabei ist es eigentlich andersrum: Was ich z.B. auf Fehmarn oder in Nordfranken (100 km westlich von Euch ;-)) an Übernachtungsmöglichkeit erlebt habe, kann man hier garnicht mehr vermitteln/anbieten.

GRüsse Norbert

martind
Beiträge: 54
Registriert: Di 16. Okt 2007, 13:05

Re: 9. November

Beitrag von martind »

Liebe Heidrun,

bestimmt gibt es abertausende Niedersachsen die noch nie in Rheinland-Pfalz oder im Saarland waren, Saarländer die noch nie in Schleswig-Holstein waren usw. Es muss halt einen Grund für eine Reise geben. Für mich war z.B. euer Museum ein Grund nach Markneukirchen zu fahren (zugegeben, anlässlich einer Reise nach Potsdam aber doch ein erheblicher Schlenker). Letztes Jahr bin ich eine Woche auf der Müritz herumgeschippert, war auch sehr schön. Was mich allerdings abhält (wenn Du es denn wirklich wissen willst), öfter in den neuen Bundesländern, aber auch in den alten, nördlichen Bundesländern Urlaub zu machen ist das immer noch (für mich) unbefriedigende gastronomische Angebot. "Gut bürgerliche Küche", d.h. große Portionen, dicke Soßen, Salat aus dem Eimer, miese Weinkarte......oder (hochpreisige) Topgastronomie, dazwischen nix. Wie gesagt weniger Ost-West als Nord-Süd Gefälle. Und an der Nordsee wird einem nach meiner Erfahrung von Strandräubern das Fell über die Ohren gezogen. Hier, an der französischen Grenze und im Elsass ist das Angebot schon in der einfachen Gastronomie pfiffiger und das gehört für mich zu einem Urlaub oder Wochenendausflug einfach dazu. Trotzdem kommen hier (Südwestpfalz, sehr schönes Wandergebiet) die Leute auch nur her um im Designeroutlet schnell die Schnäppchen abzugreifen und dann wieder zu verschwinden.

Markneukirchen ist ein sehr hübsches Städtchen und in der Nähe, ich glaube Adorf, habe ich einen sehenswerten botanischen Garten besichtigt. Sicher werde ich mal wieder vorbeikommen, wollte ohnehin auch mal das Framus Museum anschauen.

Bis dahin mach es gut,

Martin

guitargreen
Beiträge: 22
Registriert: Mi 02. Apr 2008, 17:17

Re: 9. November

Beitrag von guitargreen »

...ist ja nicht ganz taufrisch, dieser thread, aber als ehemaliger (hoffe ja) Besserwessi kann ich nur sagen: ja, man kann prima mit Kinder "in den Osten" fahren :v: Meine tun es sogar allein, wenn's sein muss (wir kommen aus Hannover), Leipzig hat nun mal die Game Convention :flucht:

Wir haben's auch schon bis Dresden geschafft, aber mein Hang zum Osten ist auch schon älter als der Mauerfall, ich kann mich noch gut an meine Klassenfahrt nach Weimar in den späten 70ern erinnern, mit Schwarztausch und Butterkremtorte, dem obligatorischen Meter Kalle, und Klassenkameraden, die mit Äxten und Riesensägen als Souvenir nach Hause kamen, weil die so schön billig waren... und es sonst nix zu kaufen gab.

Man möge mir verzeihen, ich war irgendwie auch ein bisschen traurig, vielleicht eher wehmütig, als die Mauer fiel. Nicht allein der Umstand, dass wir an dem Tag einen Auftritt in Berlin-West hatten, zum dem 3 Leute kamen :search: und wir bei der Tour zurück in den Westen 16 Stunden im Trabistau standen (aber immerhin das erste Mal in der aufgehenden Morgensonne auf dem Transit aussteigen konnten, um Frisbee auf den Feldern zu spielen, das war schon ergreifend, so banal es klingen mag, umgeben von durchdringenden Benzinfeuerzeugduft der endlosen Trabikette bis zum Horizont im Westen... und das erste, was wir nach Grenzübertritt sahen, war ein umgekippter Trabi, wie ein Käfer auf dem Rücken, und irgendwie sah es aus wie ein böses Omen für uns ...).
Nein, was mir verloren ging, war das "50er Jahre Museum" meiner Jugendzeit, ich empfand den stilistischen Verharrungszustand der DDR (jaja, ich weiß, es gab auch moderne Designs, sogar wirklich einfallsreiche) immer als anheimelnd, äußerst exotisch und aufregend. Mir war klar, das würde im kapitalistischen Profitmaximierunsgstrudel sang und klanglos untergehen ... ist es denn ja auch bis auf einige OstalgieEnklaven.
Ich gehöre also auch zu den Leuten, denen bei einer graugrünen Mintdropsverpackung ein Seufzer entfährt.
Oh, und nicht zu vergessen, der Mauerfall hat uns gehätschelten alten Bundesbürgern unwiderruflich den Status des gepflegten "goldenen Westschaufensters" geraubt, jetzt haben wir den Kapitalismus, vor dem uns Herr Schnitzler ja schon in den 60/70ern gewarnt hat, den es damals aber so noch nicht wirklich gab hier, weich gepuffert in soziale Marktwirtschaft und jederzeit im Sturz gebremst durch das allzeit auffangbereite soziale Netz. Das ist dahin. Kein Schaufenster, kein Schaufensterpuppenstubenleben.
Was uns Westlern ganz zweifellos mehrfach vergolten wurde durch die vielen herzlichen Menschen, mit denen wir jetzt wieder ein Land bewohnen. Und die ich auch nach dieser so langen Zeit (mir kommt es noch vieel länger vor) immer noch gelegentlich an der leicht verwirrt erschütterten Haltung hier erkenne, wenn einfach etwas Unmenschliches oder Kaltes geschieht, an das wir uns schon gewöhnt haben, die kleinen garstigen Alltagsgesten, die egozentrische Vereinzelung ...
•••>guitars greenbuddha (schräge Gitarrensammlung ...)

Heidrun Eichler
Museumsmitarbeiter
Beiträge: 1226
Registriert: Do 22. Dez 2005, 13:58
Wohnort: Markneukirchen

Re: 9. November

Beitrag von Heidrun Eichler »

Hallo Gitarrengrün,

ich wusste gar nicht, dass es Klassenfahrten von West nach Ost gab :sorry:
War das eine Tagestour? Zu uns ins Museum hatten sich damals auch Busse aus dem Westen verirrt, aber eigentlich nur mit älteren Leuten, die bei der Gelegenheit mal die alte Heimat sehen wollten oder sich mit jemandem "legal" trafen. Jeder wollte immer die Gruppen führen, weil es vielleicht mal ein paar Groschen Westgeld gab. Die Gruppen wurden auch immer bevorzugt behandelt. Damals (ich habe schon als Schülerin im Museum Führungen gemacht) hatten wir noch wahnsinnig viele Besucher und mussten alle führen, weil die Instrumente zum Teil offen dahingen und nicht genügend geschützt waren. Zu dieser Zeit konnten wir auch noch viel anspielen, die chinesischen Gongs und afrikanischen TRommeln z.B., aber war auch nicht so gut für die Instrumente :unknow: Jedenfalls haben sich die damals sehr zahlreichen nebenamtlichen Führungskräfte darum gestritten, sie zu führen. :boxing: Und da die Leute oft lange warten mussten (es bildeten sich in der Mittagspause lange Schlangen vor dem Eingang (waren das noch Zeiten :tomato: ), war das bestimmt nicht so einfach, dafür zu sorgen, dass die Westgäste auch gleich dran kamen. :bad:
Wir hatten auch manchmal Franzosenkinder und ganz selten mal DKP-Mitglieder, aber so reguläre Schülergruppen nicht.

Die Zeit war bei uns stehengeblieben und so, wie es Dir damals ging, geht es uns heute, wenn wir nach Tschechien fahren, aber auch nicht mehr lange. Dann sieht es dort auch aus wie überall und es gibt dann endlich auch Mc.Donalds und nach den typischen Nationalgerichten musst Du suchen. Eigentlich schade. :shok:

Ich freue mich, dass sich hier mal wieder jemand gemeldet hat.
Weiter so :ff4ever:

Heidrun

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