Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Moderator: Heidrun Eichler

MGW51

Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von MGW51 »

Nun Gabi, das ist nicht mit drei Worten erklärt; dazu müssen wir zurückgehen in den Mai 1945 und die unmittelbar darauf folgende Zeit, das Pariser Reparationsabkommen von 1946 inbegriffen.

Das Tausendjährige hatte aufgehört zu existieren, nicht ohne eine unübersehbare Spur der Verwüstung hauptsächlich Europa aber auch darüberhinaus zu hinterlassen. Und nun begann das, was als unausbleibliche Klatsche auf Deutschland zurückfiel: Die Reparationen.

Den Umständen entsprechend war Deutschland in verschiedene, +/- zufällig entstandene Sektoren aufgeteilt. Der geographische Zufall wollte es, daß der Teil der späteren DDR unter die Besatzungshoheit der Sowjetunion geriet, daher der Ausdruck SBZ. Die ungeheuren Zerstörungen die der Rußlandfeldzug angerichtet hatte wurden nun versucht zu kompensieren indem alles was nicht niet- und nagelfest war, aus der SBZ gen "Sibirien" abtransportiert wurde. Komplette Industrieanlagen hat man auf diese Weise geschleift und nicht genug damit, es wurden auch nicht wenige verbliebene Wissenschaftler nach "Mütterchen Rußland" verbracht, um dort sowohl den wirtschaftlichen Aufbau als auch die Entwicklung der Atombombe zu beschleunigen. Erfindungen, Patente, Warenzeichen wurden als Kriegsbeute hauptsächlich der Amerikaner und Russen beschlagnahmt, die bis dato blockierten Auslandsvermögen von geschätzten 20 Mrd. Reichsmark sowie alle Devisenbestände eingezogen.

Das eigentlich tragische an den demontierten Werken war aber nicht die Tatsache, daß sie hier für die Neuorganisation der Wirtschaft fehlten sondern der Umstand, daß sie zu einem Großteil "irgendwo hinter´m Ural" verrotteten! Zum einen, weil niemand dort damit etwas anzufangen wußte und zum anderen deswegen, weil ganze Produktionsanlagen aus Unkenntnis einfach auseinandergerissen und verstreut über das Riesenterritorium Sowjetunion völlig unbrauchbar waren. Es wußte ja niemand, was wo hingeschafft worden ist!

Daß das nicht zielführend sein kann, sah man gar bald auch im Kremel und es entstanden neue Formen der Reparationszahlungen; eine davon war die Auftragsproduktion. Mit sowjetischer Hilfe wurden hierzulanden Industrieanlagen aufgebaut, z.T. einzig mit dem Ziel eine Warenproduktion für die SU zu realisieren die dann auf die zu erbringenden Reparationsleistungen angerechnet wurde. So entstand z.B. der erste Nachkriegsfernsehapparat "Leningrad T2" hier im sächsischen Radeberg und wurde nahezu vollständig nach der Sowjetunion ausgeliefert; lediglich ca. 200 Geräte sind in D verblieben, vermutl. wegen qualitativer Mängel. Es versteht sich wohl, daß es für solche Lieferungen keinerlei Mittelrückflüsse gab, daß also diese Betriebe jahrelang für Nichts gearbeitet hatten. Andererseits konnte hier auch niemand diese Geräte gebrauchen denn den Deutschen Fernsehfunk gab es noch nicht.

Eine andere Form der Reparationsleistungen ergab sich aus den in der SBZ gegründeten SAG = Sowjetische Aktiengesellschaft von denen eine der bekanntesten, die spätere SDAG WISMUT, bis über das Ende der DDR hinaus Bestand hatte. Das Kürzel steht hier für Sowjetisch-Deutsche-Aktien-Gesellschaft und der Geschäftszweck der Wismut war der Bergbau, genauer gesagt der Abbau von Pechblende welche zur Urangewinnung von außerordentlicher strategischer Bedeutung war.

Die Allierten in den Westsektoren unterbanden mit dem Beginn des Kalten Krieges jegliche Demontagen und verhinderten indirekt auch erfolgreich bis in unsere Tage die Reparationszahlungen durch die Westsektoren und damit die spätere BRD. Es gab zwar 1953 das Londoner Schuldenabkommen, doch dieses ist nicht das Papier wert auf dem es steht. Der Trick: Westdeutschland knüpfte jegliche Zahlung an die Unterzeichnung eines förmlichen Friedensvertrages. Ein solcher ist aber bekanntermaßen nie abgeschlossen worden.

Aus politisch-taktischen Gründen heraus wurde Westdeutschland mit dem Marshall-Plan und anderen alliierten Krediten "beschenkt". MIt Hilfe der langlaufenden amerikanischen Kredite wurde eine stabile Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung geschaffen. Die Kredite aus dem Marshall-Plan sind inzwischen zum größten Teil getilgt worden. Andere alliierte Kredite und Vorkriegsschulden wurden der BRD erlassen.

Auf dem Territorium der SBZ war traditionell eine im Verhältnis zur Westzone recht dünne Industrialisierung vorhanden. Volkswirtschaftlich wichtige Grundlagen wie Kohle und Erz fehlten nahezu gänzlich, wenn man mal die kaum nenneswerten Ölsnitzer Vorkommen unbeachtet läßt. Aus dieser Not heraus mussten völlig neue Industrieen entwickelt werden, die sich mit den vorhandenen Ressourcen - die es ja auch erst zu erschließen galt - zu begnügen hatten. Und das war in erster Linie Braunkohle.

Es macht schon einen immensen Unterschied, ob erst ganze Landstriche ausgesiedelt werden müssen - nachdem zuvor auch erst neue Wohnmöglichkeiten geschaffen wurden - um danach ein 30, 40 Meter oder auch noch viel "höheres" Deckgebirge komplett abzubaggern damit man an den "Braunen Dreck" überhaupt herankommt oder ob man statt dessen ein paar beschädigte Schachtanlagen instandsetzt und mit der Steinkohleförderung weitermachen kann. Braunkohle ist ja im Gegensatz dazu im Rohzustand nahezu unbrauchbar! Nichtmal verfeuern kann man sie da ihr natürlicher Wassergehalt so hoch ist, daß sich kein Feuer entzünden, geschweige unterhalten läßt. Die einfachste Methode ist die manuelle Trocknung, wozu man die Kohlestücken zuvor mit Axt und Spaltkeil auf handhabbare Größe bringen muß und dann braucht nur noch Petrus ein Einsehen zu haben und die Sonne scheinen lassen :-)
Trockene, gute Braunkohle brennt dann wirklich ganz hervorragend!

Nunja Gabi, es ist ein sehr komplexes Thema und dank einem gewissen Herrn Adenauer, der ja erfolgreich die deutsche Einheit zu verhindern wußte, gab es für Ostelbien eben keinen Marshall-Plan und auch einen Stalin-Plan hatten wir nicht. Ach ja, unser Väterchen Josef Wissarionowitsch - der stand natürlich noch über Gott - beglückte uns hier mit so feinen Sachen wie der "Wurst am Stengel" oder der "Aktion Siebenmeilenstiefel" und weiterer Absurditäten die seinerzeit hier begierig von einigen "Aparatschicks" aufgesogen wurden um sie sogleich, getreu dem Motto "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen!" in die Tat umgesetzt wurden. Die Kollektivierung in der Landwirtschaft war die eine Seite - wobei es dazu auch allenthalben völlig falsche Darstellungen gibt - der per Dekret durchgesetzte landesweite Bau von Offenställen zur Milchviehaltung spiegelt die andere Seite dieser Irrungen und Wirrungen wider. NUr weil es in Mittelasien funktioniert, muß es doch nicht in Mitteldeutschland funktionieren! Fachleute hätten das freilich verhindern können - hätte man sie nur gelassen. So aber fuhr man erstmal stur heil die Verluste ein.


Soviel zum geschichtlichen Hintergrund, wobei das auch nur ein paar Spotlights sind.


Woher resultierte die schlechte wirtschaftliche Entwicklung in der DDR?
Dazu gibt es zwei Gründe: Einmal war es politisch nicht gewollt, daß die wirtschftliche Entwicklung in den Ostblockstaaten zu einem einseitigen Anwachsen des Lebensstandards der DDR-Bevölkerung führt und zum anderen war es schon der Abschottung zuzuschreiben, daß hier kein qualitativ höherer Aufschwung stattfinden konnte.
Es war einfach kein ausreichender Markt vorhanden um bestimmte hochwertige und damit auch gewinnträchtige Produkte in einer ökonomisch sinnvollen Größenordnung abzusetzen. Dieser Umstand konnte auch nicht dadurch kompensiert werden, daß die DDR EG-rechtlich als Enklave der BRD behandelt wurde und somit ihre Produkte zollfrei nach Westdeutschland ausführen konnte. Wer etwas verkaufen will oder muß, ist nie in der Position einen angemessenen Preis zu erzielen! Der Beschaffung von Devisen war somit die gesamte Volkswirtschaft verhaftet. Die Ertragsminderungen wurden durch teils exorbitante Preisaufschläge im Inland zu kompensieren versucht. Exporterlöse die von Privatbetrieben im Westen erwirtschaftet wurden, flossen ebenso zu ca. 90% in den staatlichen Devisenhaushalt ein. Die privaten Hersteller wurden dafür auf Basis vorher ausgehandelter Preise in DDR-Währung abgefunden. Die ca. 10% (ggfs. auch mehr) konnten von ihnen in Anspruch genommen werden, um produktionswichtige Ausrüstungen die es hier und so nicht gab zu importieren.


Daß das für Dich schwer vorstellbar ist, ist absolut verständlich denn es ist anormal!



NACHTRAG:

Soeben sehe ich, daß Heidrun auch schon zur Feder gegriffen hat - na macht nichts :-)
Doppelt hält besser.

MGW51

Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von MGW51 »

Ach schön :lol: "Mutti kauft in der HO!" oder "Man kauft gut im KONSUM fix!"

Das war so die Standardtüte der "Volkseigenen HandelsOrganisation" bzw. des genossenschaftlichen Einzelhandelsunternehmens.

Behelfsverpackungen und Behelfsetiketten sind allerdings beileibe keine DDR-Erfindung! Die DDR kann es sich allerdings anrechnen, dieselben zu "höchster Vollendung" ausgereizt zu haben :-)

Der Verkauf loser Ware hat ja eine sehr lange Tradition, so lange wie es den privaten Einzelhandel, die "Tante-Emma-Läden" gegeben hat. Das beschränkte sich nicht allein auf "Fressalien" wie Milch, Quark, Sauerkraut, Senf, Maggi, Kaffee, Bonbons usw. Auch Zigarren und Zigaretten wurden Stückweise verkauft, für letztere gab es extra Zigarettentütchen.

Mit dem totalen Verfall der Verkaufskultur durch die Etablierung von Großverkaufsformen verbot sich der Verkauf loser Ware - zumindest im Nahrungs- und Genußmittelsektor - allein aus hygienischen Gründen. Dafür erlebte die Verpackungsmittelindustrie einen ungeahnte Aufschwung.

NorbertE
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Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von NorbertE »

Liebe Gabi,

unten hast Du mal so eine "Einheitstüte". Eine Behelfsverpackung habe ich selbst nicht mehr, sehr wohl aber einen Artikel mit einem "Behelfsetikett" (Das steht da auch drauf). Den fotografier ich Dir mal morgen.

Mit der DDR-Vergangenheit beschäftigen sich ja nun Wissenschaftler, um den Sinn derer grundlegend zu ergründen. Heidrun hat dort Recht...es würde für Dissertationen reichen, die mit Fördermitteln mit Sicherheit schon durchgeführt werden/wurden.

Gabi, nach dem WWII standen sich zwei völlig unterschiedliche politisch ausgerichtete und materiell aufgestellte Systeme antagonistisch gegenüber. Der real existierende Kommunismus war von anfang an zum Scheitern verurteilt, da ein Spruch gilt: "Geld regiert die Welt". Und das war auf der westlichen Seite. Auf der östlichen Seite war anfangs eine Art Pioniergeist für eine bessere Welt, quasi eine Utopie. Dieser Pioniergeist verlor sich mit der Zeit, weil den markingen Sprüchen "so wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben" einfach keine Taten folgten. Dazu kam noch die völlig ideologische Gleichschaltung, die die Menschen hier über Jahre abstumpfen liess. Zum Schluss hat den markingen Sprüchen eh keiner mehr geglaubt und "die Jacke war näher als die Hose".
Diese Mangelwirtschaft resultierte einfach aus dem Prinzip, dass der Ostblock verfolgt hat/verfolgen musste: Aus nichts irgendwas machen....und das funktioniert halt nicht.
Ein geflügelter Spruch ist z.B. "Aus unseren Betrieben ist noch mehr rauszuholen". Das haben wir gemacht :lol: und zwar exzessiv. Es wurde aus den Betrieben mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war...war ja Volkseigentum und damit auch meine...

Es ist, und ich glaube, da stimmen mir alle Ossies zu, sehr schwer, einem Westdeutschen, der es nie erleben musste, dieses Gefühl oder auch einzelne Erlebnisse rüberzubringen. das ist keineswegs ein Vorwurf, im Gegenteil: ich freue mich immer, wenn es echte Intressenten von damals jenseits des eisernen Vorgangs gibt. Es ist ähnlich, wie damals, wo mein Vater vom Krieg erzählt hat....
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Gabi
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Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von Gabi »

Hallo Norbert

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Es ist ähnlich, wie damals, wo mein Vater vom Krieg erzählt hat....
Stimmt! ;-) Oder wenn die S-Eltern von ihrer Flucht aus Ostpreußen erzählen....

Für einen Wessi, der sich früher (weil zu jung und andere Interessen) nie damit beschäftigt hat, ist es tatsächlich schwierig, das alles zu verstehen.
Irgendwie hört sich das alles für mich nach einem täglichen Überlebenskampf an. Nicht das Überleben im körperlichen Sinne....das meine ich nicht. ich denke mal, es musste niemand hungern in der DDR.
Eher so wie: "ach....ist das Teil jetzt wieder kaputt. Mal sehen; es gibt kein Ersatzteil, also bastel ich mir selber was."
Alles improvisiert, alles geflickt...wenns hält -> ok. wenn nicht -> auch ok; vielleicht hat der Nachbar ja eine bessere Idee, wie mans machen kann.
Hier gab es so den Spruch: Die Wessis können alles kaufen, haben aber kein Geld. Die Ossis haben Geld, aber nichts zum kaufen.

Wie hat der Ossi den Wessi gesehen? (zur DDR-Zeit)
In den 90er Jahren waren wir einigemale in MeckPom. (Seitdem gehört Warnemünde zu meinen absoluten Lieblingsorten ;-) ) Da gab es noch oft eine Anti-West-Stimmung und mancher hätte wohl am liebsten die Mauer wieder aufgebaut.....

Noch etwas, was ich nicht verstehe....
Inzwischen weiß ich, daß der Russe nach dem Krieg viele Industrie- und Produktionsanlagen abgebaut hat und sie incl. vieler Fachleute und Experten nach Russland gebracht haben......wo sie dann allerdings vergammelten, weil sie nichts damit anfangen konnten. (nein! nicht die Experten vergammelten....sondern die Anlagen :pardon: )
Wieso ist es in der ganzen Zeit nicht gelungen, neues aufzubauen????
Manchmal, wenn ich Ruhe brauche, setze ich mich in meine Bonboniere und ein Gummibärchen hält mir die Hand.

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NorbertE
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Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von NorbertE »

Gabi, viele Fragen, ich werds mal versuchen:

Mit der Art Überlebenskampf hast Du schon recht. Und hungern musste (in den Jahren, die ich kenne geb. 57)niemand. Es waren so die alltäglichen Dinge, die immer mehr zur "Bück-Dich-Ware" wurden. Da könnte man eine schier endlose Aufzählung von Produkten machen: Zement, elektrische Geräte für Küche und Haus, Autoersatzteile......

Da lief viel über Tausch und Vitamin B. Auch z.B.in Polen oder CZ wurde "beschafft", als der Grenzverkehr halbwegs problemlos möglich war. Beschafft oder besorgt trifft es auch, denn einfach kaufen war in vielen Fällen nicht.
Ein Beispiel: Ich hing als junger Mensch in einem tauschring für West-LP`s mit drin. Das ging immer so reium, aber man brauchte natürlich selber auch welche. Die wurden abenteuerlich beschafft und das war auch teuer.
Oder die sogenannten "Lizenz"-LP der DDR-Plattenfirma AMIGA:Ich hatte einen Freund in einem Plattenladen, dem ich beim Ausbau seiner Wohnung geholfen habe. Dafür bekam ich diese limitierten Platten. Ich musste aber jede nehmen (Preis 16.10) egal ob Beatles oder Whittaker :lol: Das wurde dann ganz schön teuer mit der Zeit...
Heute werden manche davon (da Sonderpressungen) ganz schön gehandelt...

Zu tiefen DDR-Zeiten wurden die wenigen Wessis, die man kannte, eigentlich als "reiche Nachbarn" gesehn. Ohne Resentiments, mit etwas Bewunderung.
Das änderte sich nach der Wende, als die ersten Betriebe westliche Insolvenzverwalter vorgesetzt bekamen und die ersten von westdeutschen Glücksrittern (wir kannten es ja nicht) über die Tischkannte gezogen wurden. Das, so scheint mir, ist nun im Abflauen. Bei der jüngeren Generation ist es sowieso nicht mehr vorhanden.

Zu Deiner letzten Frage kann ich Dir anhand eines konkreten Beispiels dienen. Ich schraube ausser der Musik auch noch an alten Mopeds und weiss über die Geschichte von Simson in Suhl recht gut Bescheid.
Von den Russen wurden dort 5047 Maschinen als Reparation abgebaut und verladen. 1.175 blieben zurück. Von Zeitzeugen wird berichtet, dass die Maschinen in Russland an einem Bahndamm von den Waggons gekippt wurden und dann vergammelten.
Und doch hat es Simson bis 90 wieder zu etwas gebracht. Natürlich wurden die dann auch "abgewickelt", obgleich konkrete, realistische Pläne zur Weiterproduktion vorlagen. Nein, man wollte es nicht und ausserdem war die Kapitaldecke nicht da. Woher auch.

"Mein" Betrieb, wo ich jetzt noch manchmal durch die Ruinen laufe, ist 1870 geründet. Er hat zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise und auch den Kommunismus überstanden. Die Wende nicht...Da kommen schon manchmal komische Gefühle hoch...

MGW51

Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von MGW51 »

Gabi hat geschrieben:Wieso ist es in der ganzen Zeit nicht gelungen, neues aufzubauen????
Nein Gabi, diese Fragestellung ist so nicht richtig! Es wurde schon sehr viel Neues aufgebaut.

Der Rostocker Überseehafen - etwas vergleichbares gab es hierzulanden vordem nicht, riesige Braunkohletagebaue und Kohlekraftwerke, das Eisenhüttenkombinat samt einer kompletten Stadt, die Ergastrasse und andere Dinge mehr. Freilich ist der allerkleinste Teil dieser Trasse auf dem Gebiet der ehem. DDR gelegen doch gebaut wurde sie von DDR-Bürgern zu einem erheblichen Teil in der Sowjetunion - Wäre das so nicht passiert, würde sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie fertig geworden sein.

Neu wurde auch das Zschopauer Motorradwerk aufgebaut. Freilich, es existiert seit den zwanziger Jahren doch zu richtiger Blüte gelangte es in der DDR und so wurde MZ zum weltgrößten Motorradhersteller zumindestens für Zweitaktmaschinen. Heute existiert das Nachfolgeunternehmen nur als "Abklatsch am Rande des Universums" so vor sich hin.

Wenige Beispiele, sie stehen grundsätzlich für zwei Krebsschäden und das sind einmal eine nicht konvertierbare Währung und zum zweiten die bedingungslose Globalisierung.

Zur Währung wäre zu sagen, daß mit Beginn des 9. Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts der traditionelle Außenhandel als Folge der DM-Einführung schlagartig zusammenbrach. Nein, das war kein Irrtum oder Fehler sondern es war politisch so gewollt. Damit implodierte die schon angeschlagene Volkswirtschaft vollends. Ohne Export kein Import von Rohstoffen = Feierabend.

Zur Globalisierung ist anzumerken, daß deren Folgen ja bereits lange vor dem Mauerfall in Westdeutschland zu einem wirtschaftlichen Niedergang ganzer Industriezweige geführt hatte. Ich nenne hier nur die Bereiche Foto-Optik und Heimelektronik. Dem Bundesbürger ist das oft nicht so bewußt geworden - wenn er denn nicht selbst betroffen war - denn Großimporteure schütteten und schütten noch immer den Markt mit glitzerndem Billigramsch aus Fernost zu.
Es ist schlicht dummes Gejammere, wenn immer wieder gebetsmühlenartig von einigen Wirtschftsfunktionären etwas von dem "zu teuren Produktionsstandort Deutschland" gefaselt wird. Damit wollen sie nur ihr eigenes Versagen und ihre eigene Raffgier kaschieren. Versagen insofern, als aus purer Überheblichkeit keine Gegenstrategie zu der Ramschschwemme entwickelt wurde - man war borniert genug zu glauben, daß "der deutsche Michel" weiterhin bereit sei für hausbackene, vom Design völlig veraltete, dafür aber überteuerte Geräte freiwillig zu löhnen weil ein bekannter Name dransteht. Das diese Hausmannskost in der Tat von einer weitaus besseren Qualität war, hat nahezu keinen Käufer interessiert. Der Geldstrom ging also nicht an die renommierten Unternehmen sondern floss über Handelsketten welche selbst keine echte Wertschöpfung betreiben ab ins Ausland.

In Ostdeutschland gab es traditionell keine nennenswerten NSW-Importe. Die hier ansässige fotographische Industrie war zwar bezüglich der Optischen Gläser sehr gut und durchaus international konkurrenzfähig, allerdings war der technische Stand der Feinmechanik dem Weltstand längst davongelaufen - nur eben in die falsche Richtung! So hatte man zwar absolut tadellose und qualitativ sehr hochwertige Kameras anzubieten - die Masse Mensch wollte aber nunmal nichts anderes als billige Primitivknipsen haben wo alles automatisch geht - bloß draufdrücken ist noch Handbetrieb ;-) Auf diesen Trend war hier niemand vorbereitet. Aus, Feierabend. Oder nehmen wir mal das ehemalige Imrperial-Staßfurt. Es entwickelte sich zum größten Fernsehgerätewerk - bis 89/90 da ging es dann den Bach runter, so wie die gesamte Rundfunkindustrie auch. Hochwertige Geräte sind nicht absetzbar. Brüllwürfel statt Lautsprecher, krächzende, kreischende Einchipempfänger statt solide Radios mit Empfangsqualität. Es reicht ja aus den gleichgeschalteten Dudelfunk mit der idiotischen Werbung hören zu können. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

Und eines darf auch nicht vergessen werden: Sehr viel Geld kostete allein die Unterhaltung dieser für so ein kleines Land nahezu riesigen Armee! Hinzu kamen weitere erhebliche Kosten die für die GSSD aufgebracht werden mußten.

Was es hierzulanden nicht gab - falls Deine Frage darauf hinzielte - waren systematische Industriebauten auf der Wiese, sogenannte Industriegebiete. Der Tenor lag stets darauf, die historisch gewachsenen Strukturen, welche nunmal Betriebe stets innert Wohngebieten haben entstehen lassen, weiter zu pflegen. Dadurch war sichergestellt, daß man zu Fuß, mit der Straßenbahn oder Stadtbus bzw. Werkverkehr auf Arbeit kam und nicht idiotischerweise die Leute quer durchs Land hetzt um die Tankstellenpächter nicht verhungern zu lassen.
Solche Betriebe konnten sich nur durch externe Zuwächse erweitern. Daß auf diese Weise keine optimalen Produktionsbedingungen erreicht werden konnten und damit eine zwangsläufig niedrige Arbeitsproduktivität zementiert wurde, sicherte im Umkehrschluß eine 100%-ige Beschäftigungsquote.

Jede Gesellschaft hat ihre Gestrandeten, auch in der DDR gab es gesellschaftlichen Auswurf, der aus unterschiedlichen Gründen eine asoziale Lebensweise bevorzugte. Keiner dieser Leute brauchte deswegen hungern oder frieren oder gar im Freien kampieren - wenn sie es dennoch vorzogen, das ausbezahlte Tagesgeld in Flüssignahrung statt Brot und Butter zu investieren, dann war es deren ureigenster Wille das zu tun. Wohnraum wurde ihnen kostenlos zur Verfügung gestellt. Keine Apartments, vier Wände, Dach und Ofen - das war allemal menschenwürdiger als die Heerscharen Obdachloser in der Jetztzeit! Eine jederzeitige Möglichkeit zur Arbeitsaufnahme war diesen Leuten überdies sicher. Vielleicht etwas zuviel der Fürsorge? Das ist auch nicht so einfach zu beantworten, nicht wenn man erstmal selbst beruflich mit solchen Menschen zu tun hatte. Alles relativiert sich, solange eine gewisse Anonymität wirksam vor auch nur der kleinsten Anteilnahme schützt. Alles Dinge die finanziert werden müssen. Refinanzierung = Fehlanzeige.


Das mit dem "Beschaffen" trieb schon kurios anmutende Blüten. Eine davon bestand im Sammeln von Todesanzeigen. Die waren zum Beispiel nicht zu verkaufen, aber dafür zementwert. Doch das ist ein Thema, dazu könnte man eigentlich mindestens ein komplettes Extraforum füllen :-)

Gabi
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Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von Gabi »

Guten Morgen, ihr Lieben

Ich muss gestehen, daß ich politisch nicht sehr interessiert bin und auch im wirtschaftlichen Bereich nicht über die große Ahnung verfüge…..deshalb sind meine Fragen und Aussagen vielleicht manchmal etwas …..“laienhaft“….. ;-)

Aus euren Aussagen klingt manchmal ein bisschen Wehmut….oder hab ich mich „verhört“?

Nach der Wende gab es im Westen am Anfang eine große Begeisterung und Hilfsbereitschaft. Klar….man wollte dem „Nachbarn“, der ja so lange auf vieles verzichten musste, schnell auf die Füße helfen und ihm ermöglichen, den „West-Standart“ zu erleben. Mit der Folge, dass im Westen vieles den Bach runterging und vergammelte, weil ja alles in den Aufbau Ost gesteckt wurde.
Doch auf einmal wurden Ossi-Stimmen laut, die nur noch forderten. „Wir mussten so lange auf vieles verzichten; nun sorgt mal dafür, dass es uns auch so gut geht wie euch!“
…und vergessen, dass die Entwicklung im Westen ja auch nicht von heute auf morgen ging. Und dass hart dafür gearbeitet wurde. Die gebratenen Tauben fielen hier nicht so einfach vom Himmel.
DA hat der Wessi innerlich dicht gemacht!

Jetzt…nach fast 20 Jahren….hat man zum Glück endlich das Gefühl, dass Ost und West zusammenwächst. Und ich finds toll!!!!!!!!! :drinks:
Wer hätte damals gedacht, dass das so lange dauern würde….

Nach der Wende konnte man endlich die West-Produkte erwerben, die man schon zu DDR-Zeiten heftig begehrt hat…wie ihr ja selber z.T. erzählt habt. Z.B. die Autos….mit denen man sich dann leider oft totgefahren hat, weil man die Geschwindigkeit nicht gewohnt war. Oder ganz normale Dinge des täglichen Lebens, Nahrungsmittel usw.
Alles war „gut“….nur weil es aus dem Westen kam.
(Daß es auch da nicht immer die Top-Qualität war, hat man dann später selber festgestellt….)
Auch ein Grund, warum viele Ost-Betriebe „getötet“ wurden?

Selber was machen….Ärmel hochkrempeln…
Ein Beispiel, das mich ein bisschen erstaunt hat …. Vor kurzem so passiert:
(Wie gesagt: EIGENTLICH will man ja konkurrenzfähig sein….)
Ein kleiner Betrieb aus dem Osten bekommt das Angebot von einer kleinen Firma aus dem Westen zur Zusammenarbeit. Keine Firmenübernahme!!!!!! Beide Firmen würden von dieser Zusammenarbeit profitieren.
Größere Produktion. Damit verbunden auch Firmenvergrößerung. Auch wenn seine eigenen Produkte gut sind, gäbe es da wahrscheinlich auch Qualitäts-Verbesserungen. Maschinen, die im Moment stillstehen, kommen endlich zum Einsatz. Usw. usw. usw.
Im Ost-Betrieb gibt es zögerliches Interesse. Die Gespräche sind schleppend. EIGENTLICH ist Interesse da ….. das wäre ja schön, wenn das klappen würde. Das wäre DIE Chance!...... aber man kommt nicht so richtig aus dem Quark. Man müsste ja einiges umstellen im Betrieb…..was für ein Aufwand. Der Betrieb läuft doch auch so….irgendwie. So, wie es ist, ist es doch schon seit vielen Jahren; warum soll man da jetzt was dran ändern.
Das Ergebnis: Es wurde nichts daraus!

Wo bleibt der Schwung?
Wie sieht es mit der jungen Generation aus?
Manchmal, wenn ich Ruhe brauche, setze ich mich in meine Bonboniere und ein Gummibärchen hält mir die Hand.

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Gabi
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Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von Gabi »

Noch eine Frage zum Musikinstrumentenmuseum:

Heidrun hat ja irgendwo erzählt, daß oft Gelder dafür gestrichen werden und man ziemlich knapp wirtschaften muss....

Wie war das zur DDR-Zeit?
Wie war das Interesse an dem Museum und seine Arbeit?
Wie war das mit der Förderung? Mit dem Aufbau der Sammlung?
Manchmal, wenn ich Ruhe brauche, setze ich mich in meine Bonboniere und ein Gummibärchen hält mir die Hand.

http://www.blockfloeten-museum.de

NorbertE
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Re: Instrumentenbauer vor und nach der Wende

Beitrag von NorbertE »

Nun, liebe Gabi,

mit der Wehmut wirst Du schon ein bissel Recht haben. Aber man muss es differenzieren!!

Es gibt die ewig Gestrigen, die vieles verklären, die Schattenseiten völlig ausblenden und nur das vermeintlich Positive sehn. Die sind der Geschichte eigentlich nicht zuträglich.

Es gibt auch die (und dazu zähle ich mich), die ja zwangläufig in der DDR gross geworden sind, bewusst beobachtet und auch viele eigene Erlebnisse und Erinnerungen haben, die durchaus positiv waren. Natürlich erinnere ich mich auch an Negativerlebnisse. Dort muss man halt aufpassen, dass man die nicht bagatellisiert, sondern richtig einordnet. Mit etwas Wehmut denke ich z.B. an meine Kindheit, die ich selbst als schön und behütet empfinde. Aber das wird wohl jedem so gehn.
Und diesen Spruch "Früher war sowieso alles besser", den gibts ja schon lange :lol:

Zu Deiner Geschichte mit den Firmen: es gibt da für mich 2 Möglichkeiten der Deutung
Entweder die sind wirklich total lahmar**ig, oder getreu dem Spruch "gebranntes Kind scheut Feuer" mal in der Nachwendezeit richtig übern Tisch gezogen worden. Damit halt nun übervorsichtig und misstrauisch.

Und junge Leute, die mit Elan was tun, gibts ja. Dass es nicht mehr sind, da ist Vater Staat mit seiner Abzockermentalität schuld.

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