Geigenzettel zu DDR-Zeiten

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jorinde
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Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von jorinde »

Hallo liebe Geigenbauer und -experten,

ich habe da eine Frage wie Geigen zu DDR-Zeiten "bezettelt" wurden. Und zwar habe ich eine Geige, welche -laut Zettel- von Bernhard Wölz 1978 gebaut wurde. Nun habe ich eine zweite Geige gesehen, deren Zettel extrem ähnlich aussah, bis auf den Namen. Bei beiden Zetteln steht der Name, dann drunter (links) Markneukirchen, rechts das Baujahr (vorgedruckt 19, genaue Jahreszahl per Hand eingefügt). Unten in der Mitte klein "Made in GDR" (ohne Anführungszeichen). Der Zettel ist zweimal umrandet. Eigentlich sieht der Zettel nicht wie "frisch aus dem Kopierer" aus, das Papier ist auch nicht reinweiß.... Trotzdem finde ich es verwunderlich, daß sich beide Zettel so sehr gleichen. Gab es da eine "zentrale Vordruckstelle" oder so, und sahen die Zettel zumindest Ende der 70ger in Markneukirchen alle so aus? Z.B. für Exportinstrumente? Oder haben die Fälscher inzwischen sogar schon Markneukirchen als Ziel ihrer Werke entdeckt?

Herzliche Grüße!

Udo Kretzschmann
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von Udo Kretzschmann »

Hallo Jorinde,

lang lang ist's her. Aber wenn ich mich recht entsinne, hat Bernhard damals in der PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) "Sinfonia" gearbeitet und da er dort nicht der Einzige war, gab es halt mehrere Zettel mit gleichem Aufbau aber unterschiedlichen Namen. Am besten mal "Wölle" selbst fragen und die Antwort hier posten.

Reicht das als Erklärung?

Aus dieser Werkstatt in der PGH Sinfonia wurde später übrigens "VEB Sinfonia, Werkstatt für Streichinstrumente" und dann mal eine Zeit lang:
"VEB Blechblas- und Signalinstrumentenfabrik, Abteilung Streichinstrumente"
(Ich hoffe, ich habe noch die korrekten Bezeichnungen im Gedächtnis, wenn nicht, bitte korrigiert mich!)
Ein Stückchen real existierender Sozialismus, der auch damals schon Grinsen bis Kopfschütteln verursachte...

Bezüglich "Markneukirchner Geigen fälschen" kann ich folgendes beitragen: Ich habe vor Jahren überglücklich eine Geige mit dem Zettel einer meiner Vorfahren aus Hawaii gekauft - und dann hier eine ganz minderwertige "Schachtel" aus dem Paket gezogen...
Also, daß das keine Mißverständnisse gibt, nicht meine Vorfahren waren auf Hawaii sondern der Vorbesitzer. Die Geige hängt noch als "Mahnmal" in meiner Werkstatt.

Mit freundlichen Grüßen

Udo

jorinde
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von jorinde »

Lieber Udo,

veilen lieben Dank für die Antwort! Daß Streichinstrumente zu den Signalinstrumenten gehören, finde ich großartig. Das würde aber erklären, warum alle immer die Flucht ergreifen, wenn ich spielen will... ;-)

Das mit den Zetteln klingt logisch... Aber es verwundert mich doch, daß inzwischen auch Markneukirchener Geigen gefälscht werden...? Aber offensichtlich gibts nix, was es nicht gibt. Egal ob Fälschung oder nicht- meine Geige scheint mir nicht so schlecht zu sein, ich habe mal ein paar Bilder angehangen. Sie klingt auch ganz gut...

Ich habe noch eine Frage zum Deckenholz. Das scheint mir nicht "normale" Fichte zu sein. Es sind so "Wachstumsstörungen" zu sehen, also so "Wellen", und die Maserung ist auch sehr deutlich. Könnte es sich evtl. um Weißtanne handeln, oder ist es eine bestimmte Fichtensorte?

Herzliche Grüße!
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Udo Kretzschmann
Geigenbaumeister
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von Udo Kretzschmann »

Liebe Jorinde,

ach schön, wenn im Forum eine Anrede gebraucht wird und dann auch noch so eine nette. Ich bin kein Freund der SMS-Kultur ohne Anrede und Gruß und mit x Abkürzungen, wobei ich AFAIK auch schon mal IMHO oder ähnliches verwendet habe... :wink2:
jorinde hat geschrieben:Daß Streichinstrumente zu den Signalinstrumenten gehören, finde ich großartig. Das würde aber erklären, warum alle immer die Flucht ergreifen, wenn ich spielen will...
Ach das kenn' ich, wenn ich bei den Spatensoldaten geübt habe, was aus Zeitgründen leider nicht so oft möglich war, kam manchmal einer herein und forderte mich auf, doch endlich die Katze aus dem Schraubstock zu lassen...
jorinde hat geschrieben:Aber es verwundert mich doch, daß inzwischen auch Markneukirchener Geigen gefälscht werden...?
Nun ja, diese Fälschungen, wurden wohl hauptsächlich auch hier angefertigt. Es geht dabei aber vor allem ums 19. bis 20. Jahrhundert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß heute so etwas betrieben wird.
jorinde hat geschrieben:Ich habe noch eine Frage zum Deckenholz. Das scheint mir nicht "normale" Fichte zu sein. Es sind so "Wachstumsstörungen" zu sehen, also so "Wellen", und die Maserung ist auch sehr deutlich. Könnte es sich evtl. um Weißtanne handeln, oder ist es eine bestimmte Fichtensorte?
Wenn ich es, wie ich immer betone, auf den Fotos richtig erkennen kann, handelt es sich um sogenannte Haselfichte. Ich liebe dieses Holz und habe leider viel zu wenig davon in meinem Vorrat. Es sieht schön aus und nach meiner Erfahrung ist es klanglich sehr gut.

Ebenso herzliche Grüße mit den besten Wünschen für einen beschaulichen Advent, ich hoffe, heut waren die Stiefel gut gefüllt ...

Udo

jorinde
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von jorinde »

Lieber Udo,

Stiefelfüllung war super :santa2: , ich befürchte nur, dass wird zur Hüftfüllung :blush:

Ist ja nicht gerade nett, wenn im 19./20. Jahrhundert die Geigenbauer/Manufakturen sich gegenseitig gefälscht haben, also quasi den Nachbarn...Gab es da noch kein Urheberrecht oder so? Letztendlich haben die sich doch selber geschadet, wenn schlechte Violinen des Erbauers X im Umlauf waren, ist doch sein gesamter Name im Wert gesunken und damit doch auch der Wert der Fälschungen...?

Zum Deckenholz: Ich hab mir mal im Internet Bilder von Haselfichte angesehen, es scheint wirklich welche zu sein! Vielen Dank für den Hinweis! Ich finde die Geige klingt super, meine spielerischen Fähigkeiten sind aber (noch) nicht allzu ausgeprägt. Ich habe mal gehört, dass ein schlechter Spieler ein Instrument "verderben" kann, kann mir das aber nicht vorstellen. Und schadet es etwas, wenn es tiefer gestimmt ist, also macht man dann den Klang dauerhaft kaputt, bzw. ist es ein Problem, wenn man es nach einer Zeit wieder "normal" stimmt? Bei einer Gitarre, Flöte oder Klarinette behauptet das keiner...aber bei Streichinstrumenten weiss ich immer nicht, was an den vielen Geschichten dran ist, und was wirklich stimmt. Ich kann mir nur vorstellen, dass ein Instrument sich erst wieder "einschwingen" muss, wenn es lange gelegen hat.

Wieviele Geigen hat denn ein Geigenbauer damals im Jahr gebaut? Bzw., wieviele musste er -im Rahmen der sozialistischen Planerfüllung- bauen? Würde sich Herr Wölz noch an das Instrument erinnern, wenn ich ihn anschriebe?

Ihnen auch eine schöne Adventszeit! :tanne:

Herzliche Gruesse!

intune
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von intune »

... Bei einer Gitarre, Flöte oder Klarinette behauptet das keiner.... :sad: :cray:

wer sagt denn so etwas? :wink2:

ansonsten kann ich nur mal wieder feststellen, was für ein tolles forum das ist und die kompetenz der antwortenden,
ich sag es wie ich es denke, in den himmel heben.

alais magerton ;-)

jorinde
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von jorinde »

Ja, natürlich kann durch unsachgemäßes Behandeln ein Instrument "verdorben" werden, also z.B. durch "feuchtes" Spielen (quasi reinspucken), Runterfallenlassen, nicht gut pflegen und so... Das meinte ich aber nicht. Sondern, präziser: Kann lediglich das "Schief/Unsauberspielen" eines Anfängers ein Streichinstrument klanglich verderben? Und, um meine Behauptung einzuschränken: Ich habe das bei anderen Instrumenten nie sagen gehört, bzw. hat mein damaliger Gitarrenlehrer (der natürlich vielleicht nicht für alle repräsentativ ist) gemeint, dass das nicht stimmt, und dass man z.B. ja auch für einzelne Stücke einzelne Saiten der Gitarre anders stimmt, und dass das kein Problem ist. Bei Geigen sind mir da andere Dinge zu Ohren gekommen, so soll eine andere Stimmung das Schwingungsverhalten des Holzes dauerhaft beeinflussen, das würde -angeblich- auch für wenig tonfeste Anfänger gelten. Ich weiss nicht, was ich davon halten soll, deshalb stelle ich die Frage ja auch.

intune
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von intune »

jorinde,

viele mögen es als voodoo abtuen.

ein gut eingespieltes holzblasinstrument (und nur darüber KANN ich ich reden) ist eine erfahrung die zählt.

ob man es selbst macht = über monate hinweg, ODER

erwirbt! - ich glaube daran, es ist freier, eleganter, obertonreicher, mechanik flüssiger, einfach eleganter...

man kann sich nicht nur in frauen verlieben!! :wink2:


und es ist wie im wirklichen leben, man muss es finden!

jorinde
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von jorinde »

Lieber Intune,

dass man ein Instrument "einspielen" muss (und es erst dann seine volle Klangfülle erreicht) glaube ich unbesehen. Dass gerade auch eine Fichtendecke sich klanglich entwickelt, ist mir auch klar. Vielleicht habe ich daher meine Frage nicht präzise genug gestellt: Kann ein Anfänger durch schiefe Töne ein Instrument dauerhaft verderben? Es geht also nicht darum, wie lange ein Instrument eingespielt werden soll, oder dass auch nach eine längeren "Ruhezeit" das Holz sich wieder an Schwingungen, warme feuchte Atemluft usw. gewöhnen muss oder so. Es stellt sich mir nur die Frage, ob es "bestimmte" Schwingungen sein müssen (also saubere Töne oder eine exakte Stimmung), oder ob es lediglich auf die Spieldauer ankommt, da sowieso durch verschiedene Tonhöhen, Obertöne usw. das Holz sich dran gewöhnt, verschieden zu schwingen? Schadet es also meiner Geige tonlich dauerhaft etwas, wenn ich sie vorerst auf 415 Hz stimme und schief spiele? Oder muss ich einfach nur damit rechnen, dass sie wieder ein bisschen (neue) Einspielzeit braucht wenn ich sie irgendwann wieder auf 440 Hz hochstimme? Es geht mir da nicht um die Saiten, sondern um den Korpus. Und um eine dauerhafte Beeinträchtigung, die nicht durch "neue Einspielzeit" zu beheben ist. Also, kann ein Anfänger ein gutes Instrument tonlich ruinieren (korrekt Behandlung vorausgesetzt)?

Herzliche Gruesse!

intune
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von intune »

gerne steige ich zu diesem thema nochmals ein (holzblassektor)

deine aussage:...

Kann ein Anfänger durch schiefe Töne ein Instrument dauerhaft verderben?....

ja, das denke ich (auch ;-) !

gruss intune

jorinde
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Re: Geigenzettel zu DDR-Zeiten

Beitrag von jorinde »

Danke, lieber Intune! :wink2:

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